Instagram 2025: ja, nein, vielleicht?


Hier kommen ein paar Gedanken zu der aktuellen Frage, ob es gerade noch moralisch vertretbar ist, auf Instagram zu bleiben. Ich vermute, dass diese Frage viele in meinem Umfeld beschäftigt (ich weiß, dass sie mich doll beschäftigt hat!), und es haben mich in letzter Zeit eine ganze Reihe von mehr oder weniger leisen öffentlichen „Austritten“ erreicht.

Der Auslöser ist im Moment vor allem, dass Zuckerberg direkt nach Trumps Antritt bekannt gegeben hat, es werde auf seinen Plattformen keine offiziellen Faktenchecks mehr geben – allerdings gilt das bisher nur für die USA und die Faktenchecks als solche sind auch etwas umstritten. Dieser Artikel gibt eine ganz gute Übersicht zu der Situation.

Manchen Menschen wird dadurch die Nutzung von Instagram zu problematisch und sie entscheiden sich dagegen. Gleichzeitig ist Instagram für viele Menschen aus marginalisierten Communities, besonders Menschen mit chronischen Krankheiten oder körperlichen Behinderungen, ein nicht so leicht oder aktuell gar nicht zu ersetzender Ort für ihre Sichtbarkeit, Vernetzung und (nicht nur wirtschaftliches) Überleben. Und darin steckt die Frage, ob nicht vor allem bestimmte Menschen überhaupt Instagram verlassen können, und in Teilen vielleicht sogar noch (soziales) Kapital aus dieser Entscheidung gewinnen.

Mir geht es in diesem Brief gar nicht um die Entscheidung, ob eine Person privat oder mit ihrer Marke auf Instagram bleibt oder nicht – das ist mir im Einzelfall letztlich egal. Mich beschäftigt aber, wie schnell sich in dieser Frage (wie in so vielen anderen Fragen derzeit auch) eine Art von Positionierungszwang entwickelt hat. Es fühlt sich manchmal fast an wie eine Form von Moralkontrolle, um zu sehen, wer das denn nun ernst meint mit den guten Werten.

Dass Instagram kein Ort reiner Moral ist und der Umgang damit aus vielen Gründen herausfordernd: das war den meisten von uns vermutlich schon länger klar. Dass auch Google, Microsoft, Amazon und Apple die Nähe zu Trump suchen, dass Substack Nazis finanziert und fördert, dass letztlich die meisten Firmen hinter einem Großteil unserer täglichen Infrastruktur ihre geschäftlichen und politischen Interessen über Diversität und Menschlichkeit stellen, ist auch nicht gerade ein Geheimnis. Dass dein Computer nicht fair hergestellt wurde, ist dir wahrscheinlich auch bewusst.

Es gibt aus meiner Sicht keinen „reinen“ Ort mehr, es gibt kein „reines“ Verhalten mehr. Wir können gar nicht anders, als jeden Tag und immer wieder ein möglichst gutes Leben in einer ziemlich verkorksten Welt zu führen. Zu behaupten, dass es noch das eine „richtige“ Verhalten gäbe – diese Binarität aufzumachen finde ich nicht hilfreich.

Ist diese Vereinfachung nicht genau die Art des Denkens, die diese Plattformen in uns kultiviert haben? Ist dieser Drang zur schnellen Positionierung nicht eigentlich Teil des Problems?

Vielleicht wissen wir alle gerade nicht, wohin mit unserer Verzweiflung über die Art und Weise, wie sich die Welt derzeit (wieder) entwickelt, und wohin mit der Sehnsucht, eine Form von Kontrolle darin zu behalten.

Ob man mit Faschist:innen sprechen kann, soll, muss, ist nochmal eine andere Frage, die auch endlos viel mit Privilegien und Sicherheiten und Mut und Verantwortung zu tun hat, die auch nicht binär für alle beantwortet werden kann, und auf die ich hier erstmal nicht weiter eingehen werde (sonst wird dieser Brief noch viel länger).

Was ich aber mit Sicherheit sagen kann: Innerhalb des „Wirs“, aus dem heraus ich hier spreche, also innerhalb einer ziemlich heterogenen Gruppe von Menschen, die das aktuelle Rechtsgeruckel nicht gut heißen, die immer mehr das ganz starke Bedürfnis spüren, etwas zu verändern und einzugreifen, die vielleicht sogar Sehnsucht haben nach Haltungen und Handlungen, die sich radikal und aufrichtig und groß anfühlen – wir brauchen untereinander vor allem Verbindung und Gespräch und Zuhören und das Aushalten unserer verschiedenen Positionen, auf allen Plattformen, in allen Nachbarschaften, in allen Ritzen und Ecken.

In dieser täglichen Zuwendung und Verbindung, in starken, lebendigen, chaotischen Allianzen, die Unterschiede benennen und aushalten können, die stabil im Verbindendem und weich in ihrem Denken und Urteilen bleiben, die nicht in unnützem Positionierungsgerangel stehen bleiben, steckt für mich die eigentliche derzeit benötigte Radikalität drin.

Nicht so sehr in großen individuellen Moves, oder in noch mehr Sortierungsachsen, so-machst-du-es-richtig-Achsen, oder mehr „Auf welcher Seite stehst du?“.

Nicht in noch mehr aktionsverhinderndem, energiesaugendem schlechtem Gewissen, weil wir wieder eine Avocado gekauft haben und immer noch einen Computer verwenden und Instagram gerade nicht verlassen wollen oder können.

Es braucht alle Versionen von uns, an allen möglichen Orten, in allen Graden von Sichtbarkeit.

Dein „guter“ Move kann anders aussehen, als du zuerst dachtest, oder als es dir andere Menschen vorleben. Er kann aussehen wie Rückzug und Alternativen schaffen, er kann aber auch aussehen wie mitten im Dreck bleiben und dort Verbindung suchen und kleine Taschen voller Sicherheit für andere schaffen.

Vielleicht ist auch gar nicht so entscheidend, ob deine Handlung „gut“ oder „schlecht“ ist, und wie die Menschen um dich dein Handeln bewerten, sondern andere Fragen: Wo kannst du in Verbindung bleiben? Wo kannst du Widerstand leisten, in genau deiner Situation mit genau deinen Ressourcen? Wo bekommst du Kraft her und wo verlierst du Energie? Welche Werkzeuge kannst du gerade gut bedienen und welche werden dir zu viel?

Radikale Verbindung und starke antifaschistische Allianzen lassen sich mit Instagram oder ohne angehen, und, ganz ehrlich: darauf kommt es auch gar nicht immer so sehr an. Es bleibt ein Werkzeug, ein vielschneidiges wie die meisten, und es ist keine Frage von Moral, ob man es nutzt oder nicht. Sondern höchstens eine Frage von Moral, wie man es nutzt.

Das heißt auch: Sitzen mit einem Newsletter, dessen Inhalt einem gar nicht gefällt. Eine Weile verwirrt sein.

Das heißt: Ein Gespräch mit einer Nachbarin führen, die eine Meinung hat, die einen aufregt, und trotzdem da bleiben und dran bleiben, im Kontakt bleiben.

Das heißt: In Freundschaften die schwierigen Themen nicht immer auszuklammern, sondern zumindest manchmal üben, in die Reibung zu gehen und auch ohne Deckungsgleichheit Verbindung herzustellen.

Das ist alles riskant und anstrengend und alltäglich und das ist nicht sexy und das sieht vielleicht niemand und es fühlt sich vielleicht oft frustrierend an – aber das ist die eigentliche Arbeit, die wir machen müssen. In unserer Nähe zu bleiben. Damit wir viele bleiben.

Das würde mir Hoffnung geben, wenn das wieder mehr Praxis würde.

Herzlich

PS. Komm nächste Woche am Mittwoch zu uns in die Telko, da üben wir diese Form von realem Austausch und Beeinanderbleiben schon eine ganze Weile! Uns würde sehr interessieren, wie deine Haltung zu diesen Themen ist – besonders dann, wenn sie sich nicht mit unserer deckt ;) Und wir beginnen wieder mit einem poetischen, freudvollen, erdendem Einstieg.

E I N L A D U N G E N

Wir-sind-nicht-alleine-Telko: 26. Februar, 14 - 15:30 Uhr

Eine monatliche, kostenlose Gemeinschafts-Videokonferenz für (werdende) Einzelselbständige, die Austausch und Unterstützung suchen.

Wir treffen uns, um uns auszutauschen und in unserer Nähe zu bleiben, und wir experimentieren weiter mit einem sanften Ankommen mit kleiner poetischer Schreibaufgabe. Du bist sehr herzlich willkommen, egal ob du zum ersten Mal teilnimmst oder fast jedes Mal dabei bist!

Hier geht es zu den Details zur Wir-sind-nicht-alleine-Telko und hier ist der Link zum Teilnehmen:

https://us02web.zoom.us/j/82070175374?pwd=CIOeVK8qt9dpKpqxnubF3spM2Ks5so.1

Meeting ID: 820 7017 5374 | Passcode: 680900

Schreibtag am 14. März, 9 bis 17:30 Uhr

Wir sitzen an einem Schreibtag digital zusammen, du arbeitest an deinen Texten (oder deiner Website) und wir sind in unserem Forum da für all deine Fragen, geben Feedback und Motivation, checken morgens und mittags gemeinsam in der Gruppe per Zoom mit dir ein und feiern am Abend mit dir, was du geschafft hast.

Das ist also fast so, als würden wir gemeinsam in einem Raum sitzen und du kannst uns kurz an deinen Schreibtisch rufen. Dann können wir einen Auszug von dir lesen und dir Feedback dazu geben oder dir einen Schreibimpuls rüberreichen, können über deinen akuten (oder chronischen) Schreibzweifel sprechen oder dich zu einem kleinen Schreibspaziergang motivieren.

Nachmittags treffen wir uns zu einer Feedbackwerkstatt und besprechen in einer kleinen Gruppe wertschätzend (frisch entstandene) Texte oder Fragen, die du dir beim Schreiben stellst. Wir können dir in diesem Zoomtreffen aber auch eine Rückmeldung zum neuen Look deiner Startseite oder einem Buchcover geben.

So bist du nicht alleine mit deinen Texten und deiner Website und du hast monatliche fixe, konkrete Termine fürs Schreiben, Feedback einholen und Überarbeiten.

Hier findest du mehr Infos und kannst deinen Termin buchen.

Schreibwoche Mai: 5. bis 10. Mai 2025

Eine Woche voller Anregungen, Unterstützung und Gemeinschaft, um neue Texte zu beginnen oder begonnene fertig zu stellen. Eine Einladung, dein Schreiben ernster zu nehmen und gleichzeitig ins Spielen zu kommen, ins wilde und freudvolle Ausprobieren und Forschen. Alle Textarten sind willkommen!

Die Schreibwoche Mai enthält (unter vielen anderen tollen Dingen) einen Workshop zum Schreibprozess namens Fließen lassen & in Form bringen.

Hier findest du weitere Details zur Schreibwoche.

Es gilt weiterzuschreiben.

– Ingeborg Bachmann

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